Stellungnahme der Senatsvorsitzenden an bayerischen Universitäten zum Eckpunktepapier der Bayerischen Staatsregierung

22. Dezember 2020

Sehr geehrter Herr Staatsminister,

nach der letzten umfassenden Überarbeitung des Bayerischen Hochschulrechts im Jahr 2006 sowie weiteren Änderungen in den Jahren 2011 und 2012 hat das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst Ende Oktober dieses Jahres ein Eckpunktepapier für die nächste tiefgreifende Überarbeitung des Bayerischen Hochschulrechts veröffentlicht. Die darin enthaltene Stoßrichtung zielt auf die größtmögliche wissenschaftliche Autonomie und Freiheit der bayerischen Hochschulen ab, was von den unterzeichnenden Vorsitzenden der akademischen Senate an den bayerischen Universitäten begrüßt wird. Das Eckpunktepapier eröffnet sowohl Chancen als auch innovative Perspektiven, über die wir gerne in einen konstruktiven Dialog eintreten möchten. Gleichzeitig finden sich an verschiedenen Stellen in diesem Papier Aspekte, die bei uns Fragen aufwerfen oder auch kritisch gesehen werden und uns deshalb zu einer koordinierten Stellungnahme veranlasst haben. Unser Hauptanliegen ist es, einen größeren zeitlichen Spielraum für eine gründliche Diskussion zu schaffen und offene Fragen gemeinsam anzugehen. Im Folgenden wollen wir einige der für uns kritischen Punkte darlegen.

Bedeutung des Transfers gegenüber Forschung und Lehre

Natürlich kann von den Universitäten ein vielgestaltiger Wissenstransfer in die Gesellschaft hinein entsprechend Seite 4 des Eckpunktepapiers erwartet werden („sozial, technologisch, ökonomisch, ökologisch und kreativ”), bedauerlicherweise überwiegt später (Seiten 10 bis 13) allerdings die Betonung des ökonomischen Nutzens. Wir sind der festen Überzeugung, dass Wissenschaft im Gegensatz zu unternehmerischem Erfolg nicht planbar ist, was natürlich nicht grundsätzlich die Sinnhaftigkeit des Wissenstransfers aus den Universitäten in die Wirtschaft hinein bestreitet. Ganz im Gegenteil würden wir es begrüßen, wenn entsprechend ausgestattete öffentliche Stellen eng in die Universitäten oder sogar den Wissenschaftsbetrieb integriert würden, um die unternehmerische Umsetzung von Wissen zu erleichtern. Im Übrigen ist es in vielen Bereichen bereits jetzt eine bewährte Praxis, dass die Universitäten mit Firmen konstruktiv zusammenarbeiten. Die generelle Vorgabe einer gesteigerten Ergebnisorientierung (Seite 8) oder eine erfolgsorientierte (Teil-)Finanzierung der bayerischen Hochschulen über angeblich vergleichbare Indizes (Seite 8) halten wir allerdings für problematisch, zumal die von uns repräsentierten Senate an sehr unterschiedlich ausgerichteten Universitäten angesiedelt sind: Manche decken ein sehr breites Fächerspektrum ab, einige sind eher geistes- und gesellschaftswissenschaftlich ausgerichtet und wieder andere eher natur- und ingenieurwissenschaftlich. Uns ist kein einziger Index bekannt, der eine Vergleichbarkeit innerhalb eines (engen) Fächerspektrums oder gar über derart diverse Fächergrenzen hinaus gewährleistet. Deshalb ist auf jeden Fall zu verhindern, dass die geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen Schaden nehmen, weil ihre Leistungen aus wissenschaftsinhärenten Gründen in nur sehr begrenztem Umfang einer direkten ökonomischen Bewertung unterzogen werden können. Genauso verschließen sich auch Erkenntnisse in der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung einer zeitnahen marktgängigen Bewertung, und selbst in den Ingenieurwissenschaften wird das Potential weitreichender Innovationen, die nur in langjähriger mühsamer Arbeit erreichbar sind, durch eine Fokussierung auf den unmittelbaren ökonomischen Nutzen vernachlässigt. Der Auftrag der Universitäten (und ihr Selbstverständnis) ist nicht auf kurzfristige Ergebnisse und ökonomischen Nutzen hin ausgerichtet – Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit, wie das aktuelle Pandemiegeschehen oder Veränderungen im politischen Denken, haben erneut unterstrichen, wie wertvoll unabhängige Universitäten für akut benötigte wissenschaftliche Erkenntnis und den gesellschaftlichen Diskurs sind. Dementsprechend bedeutsam ordnen wir die universitäre Lehre ein mit dem an uns selbst gestellten Anspruch, reflektierte Persönlichkeiten in ihrer Entwicklung zu unterstützen und auf ihre gesellschaftliche Verantwortung vorzubereiten. Lehre ist nicht quantitativ zu bewerten, gleichwohl darf sie nicht gegenüber wissenschaftlichen Leistungen und dem Transfer vernachlässigt werden bzw. ist sie sogar ein ganz essentieller Aspekt von Transfer.

Rechtsform der Universitäten und Globalhaushalt

Als Instrumente zur Liberalisierung der Hochschulen in Bayern sieht das Eckpunktepapier der Staatsregierung eine Überführung der Hochschulen in reine Personalkörperschaften des öffentlichen Rechts (Seite 5) und die Schaffung eines Globalhaushalts (Seite 5) vor. Wir sehen, dass sich den Universitäten dadurch neue Optionen öffnen, gleichzeitig aber damit Schwierigkeiten und Gefahren verbunden sind. Mittel aus dem Globalhaushalt müssten dann zum Beispiel auch für Dienstleistungen anderer staatlicher Einrichtungen, die bislang unentgeltlich zur Verfügung stehen, eingesetzt werden. Außerdem sei auf die nichtkalkulierbare Finanzierung der universitären Liegenschaften hingewiesen, welche die notwendige wirtschaftliche Planungssicherheit schlichtweg nicht erlauben. Die durchaus leidvolle Erfahrung der Universitätsklinika zeigt, dass ohne das zuverlässige Auffangen von Tarifsteigerungen, Inflation oder anderer steigender Kosten ein Globalhaushalt mehr einengt denn befreit. Eine solche grundlegende Veränderung der Organisationsstrukturen dürfte darüber hinaus an den Universitäten für mehrere Jahre Ressourcen binden, deren Fehlen sich im nationalen und internationalen Wettbewerb als nachteilig erweisen wird.

Gremienstruktur und Beteiligung der Statusgruppen

Fakultäten und universitäre Gremien sind essentiell für die wissenschaftliche Profilbildung und die universitäre Selbstorganisation. Wir haben großen Respekt für das Engagement der externen Mitglieder in den Universitätsräten, gleichzeitig zeigt die jahrelange Erfahrung, dass namentlich unternehmerische Denkansätze nur sehr bedingt mit universitären Strukturen vereinbar sind. Universitäten benötigen ein Diskussionsforum, in dem sich alle der an einer Universität vertretenen Statusgruppen treffen und austauschen können. Aufgrund unserer Erfahrungen sind wir überzeugt, dass der Senat als ein von den Universitätsmitgliedern direkt gewähltes Gremium genau diese Funktion zu leisten imstande ist. Es existiert kein ersichtlicher Grund, die über Jahrzehnte bewährte Praxis aufzugeben, juristisch verbindliche Rahmenbedingungen durch den Senat beschließen zu lassen. Zudem wäre ein Verschwinden des Senats mit einem erheblichen Verlust des institutionellen Gedächtnisses verbunden. Entsprechendes gilt für die Fakultätsräte. Entscheidend wird die erste und damit grundlegende Organisationssatzung sein: Sie sollte in einem Zusammenwirken zwischen Universitätsrat, Senat, den Fakultäten und anderen universitären Gremien entwickelt und schließlich im Einvernehmen zwischen Universitätsrat und Senat verabschiedet werden. In diesem Zusammenhang ist innerhalb unserer Universitäten von allen Beteiligten der Wunsch geäußert worden, dass auch im neuen Bayerischen Hochschulgesetz gewisse Leitplanken vorgegeben werden, etwa die Verankerung der Gremien und die Beteiligung sämtlicher Statusgruppen an der universitären Selbstverwaltung.

Die Stellungnahme der Senatsvorsitzenden an den bayerischen Universitäten wurde aus dem Antrieb heraus geschrieben, sich konstruktiv und intensiv in den Diskussionsprozess um das neue Bayerische Hochschulrecht einzubringen. Sie wurde den jeweiligen Senaten vorgelegt und fand dort über alle Statusgruppen hinweg breite Zustimmung. Um der Sache willen würden wir es sehr begrüßen, wenn Vertreter unserer Gruppe die Gelegenheit erhielten, Ihnen unsere Überlegungen und Vorstellungen persönlich zu erläutern und so an der Entwicklung eines guten und von breiter Zustimmung getragenen Hochschulinnovationsgesetzes mitzuwirken. Sollten Sie für einen Austausch mit uns zur Verfügung stehen, möchten wir Sie bitten, sich mit Herrn Prof. Dr. Ralph Witzgall (Email ralph.witzgall@vkl.uni-regensburg.de, Tel. 0941/943- 2821) in Verbindung zu setzen, der die zwei zusätzlich für das Gespräch vorgesehenen Senatsvorsitzenden über den Termin informieren würde.

Ein gleich lautendes Schreiben wurde von uns an Herrn Ministerpräsidenten Dr. Söder, an den Vorsitzenden des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst im Bayerischen Landtag, Herrn Brannekämper, und in Abdruck an die Vorsitzende des Universität Bayern e. V., Frau Prof. Dr. Doering-Manteuffel, geschickt.

Mit hochachtungsvollen Grüßen,

Prof. Dr. Peter Welzel (Universität Augsburg)

Prof. Dr. Ingrid Bauer (Universität Bayreuth)

Prof. Dr. Christine Lubkoll-Klotz (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen)

Prof. Dr. Karsten Fitz (Universität Passau)

Prof. Dr. Caroline Kisker (Julius-Maximilians-Universität Würzburg)

Prof. Dr. Thomas Gehring (Otto-Friedrich-Universität Bamberg)

Prof. Dr. Harald Pechlaner (Katholische Universität Eichstätt- Ingolstadt)

Prof. Dr. Peter Conzen (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Prof. Dr. Ralph Witzgall (Universität Regensburg)

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