Allgemeinwohl und Demokratie statt Primat der Ökonomie! – Stellungnahme der katholischen Hochschulgemeinden in Bayern zur Hochschulreform

März 2021

Am 20. Oktober 2020 veröffentlichte die Bayerische Staatsregierung „Eckpunkte“ zu einer geplanten Reform der Hochschulen. Die skizzierten Optionen haben eine breite Diskussion ausgelöst, worauf die Staatsregierung bereits reagiert. Wir hoffen, dass es nun zu einem partizipativen Prozess bei der Entwicklung der Hochschulreform kommt. Als Studierende, Hochschulmitarbeiter*innen und Seelsorger*innen in Hochschulgemeinden sehen wir uns in der Pflicht, anlässlich dieser Reformpläne an christliche und humanistische Grundsätze zu erinnern, um vor irreversiblen Fehlentwicklungen in der bayerischen Hochschulpolitik zu warnen.

1. Bildung für alle

Wir stehen dafür ein, dass vielfältige Bildung für alle Menschen verfügbar sein muss (vgl. Art. 26, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte), unabhängig von ihrer Herkunft oder den jeweiligen finanziellen Ressourcen. Dies zu gewährleisten, ist eine vornehmliche Aufgabe des Staates.

Bildung ist mehr als nur Wissensvermittlung! Sie schließt menschliche Entwicklung, Begegnung und Erweiterung des persönlichen Horizonts mit ein. Grundlegende kulturelle, soziale und ethische Bildungsaspekte, im Sinne ganzheitlicher Persönlichkeitsbildung, dürfen nicht von einer rein fachwissenschaftlichen Ausbildung verdrängt werden.

2. Freiheit von Forschung und Lehre statt Ökonomisierung

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG). Nach leidvollen historischen Erfahrungen einer politischen und ideologischen Verzweckung der Wissenschaft war es der jungen Bundesrepublik wichtig, Hochschulen als Räume des freien Denkens und Forschens zu etablieren. Diese sind lebendige Orte gesellschaftlichen Nachdenkens, des Gesprächs und der Diskussion, die für unsere Demokratie von unschätzbarer Bedeutung sind. Dabei ist es elementar, dass alle Teildisziplinen gleichberechtigt miteinander im Diskurs stehen, um Erfahrungen, Erkenntnisse, Ideen und Visionen in die Gesellschaft hineinzutragen.

Diese Grundausrichtung darf einer rein ökonomischen Ausrichtung der Hochschulen nicht zum Opfer fallen. Wissenschaftliches Arbeiten kann nicht an der Nachfrage des Marktes gemessen werden. Dies gefährdet nicht nur Grundlagenforschung und Vielfalt der Fachgebiete, sondern erschwert auch wissenschaftsethische Reflexion.

Eine Novelle des bayerischen Hochschulgesetzes muss daher garantieren, dass Forschungsthemen und -ergebnisse nicht von Hochschulleitungen oder externen Sponsoren vorgegeben werden können.

Um jedwede Abhängigkeit zu vermeiden, ist es Aufgabe des Staates, die Freiheit der Wissenschaft durch eine von Drittmitteln unabhängige Grundfinanzierung zu gewährleisten. Dies schließt ausreichende bauliche Infrastruktur sowie Personal- und Sachausstattung ein.

3. Forschung muss dem Frieden dienen

Wir sind der Überzeugung, dass Lehre und Forschung friedlichen und friedenssichernden Zwecken dienen müssen. Nicht nur vor diesem Hintergrund fordern wir eine ethische Prüfung jeglicher Forschung. Zudem muss die Gesetzesnovelle sicherstellen, dass die Lehrstühle und Institute allen Statusgruppen sowohl Drittmittelquellen als auch Beteiligte an Forschung und Lehre offen legen. Es muss für jede*n ohne Benachteiligung im Arbeitsverhältnis oder Studium die Möglichkeit bestehen, sich Forschungsaufträgen zu verweigern, die der Rüstungsindustrie oder anderen ethisch bedenklichen Projekten dienen.

4. Verantwortung für Nachhaltigkeit

Hochschulen müssen als Bildungsstätten bei der Bewahrung der Schöpfung für zukünftige Generationen vorangehen. Wir unterstützen diese Zielsetzung der Hochschulreform und beharren darauf, dass der Freistaat Bayern dieses drängende Anliegen in allen Bereichen des Hochschullebens fördert und einfordert. Nachhaltigkeit muss dabei Priorität vor Wirtschaftlichkeit haben.

5. Gerechte Teilhabe und Diversität

Wissenschaft profitiert von der Diversität der Hochschulangehörigen. Wir tragen Mitverantwortung dafür, dass alle Beteiligten in einem respektvollen Miteinander in Lehr-, Lern-, Forschungs- und Arbeitsumfeld wirken können. Aus diesem Grund bekräftigen wir die im Eckpunktepapier genannte Förderung von Gleichberechtigung und Vielfalt. Angesichts der Erfahrungen aus der Coronapandemie erachten wir es als äußerst dringlich, den fairen Zugang und die gerechte Teilhabe an Bildungsmöglichkeiten zu stärken.

Uns leitet das christliche Menschenbild, das jede Person als Geschöpf Gottes mit einer unantastbaren Würde betrachtet. Deshalb unterstützen wir alle Anstrengungen, die Diskriminierung an der Hochschule verhindern und fordern ausreichend Personal, Finanzierung und Rechte für die entsprechenden Zuständigkeiten.

6. Internationale und interkulturelle Begegnungen intensivieren

Interkulturelle Begegnung, fremdsprachlicher Austausch und Erweiterung der Perspektivenvielfalt sind ein großer Gewinn für Campus und Weltgesellschaft. Diese internationale Vernetzung leistet einen konkreten Beitrag zu Entwicklung, Frieden und Verständigung auf allen Seiten. Deshalb muss der Hochschulzugang auch für internationale Studierende weiterhin ohne Gebühren möglich bleiben.

7. Bildung für die Zukunft – Die Lehrer*innenbildung profilieren

Schulbildung ist die Basis unserer Gesellschaft. In einer sich ökonomisierenden Hochschullandschaft, welche sich auf wissenschaftliche „Exzellenz“ und Wettbewerb fokussiert, werden Lehramtsstudiengänge zunehmend benachteiligt. Sie generieren nahezu keine Drittmittel und sind bereits jetzt unterfinanziert. Wir befürchten, dass eine stärkere Ökonomisierung und Privatisierung der Hochschulen die prekäre Situation verschärfen wird.

Um eine qualitative Schulbildung auch für die nächsten Generationen zu sichern, fordern wir für Lehramtsstudiengänge eine fakultäre oder vergleichbare Vertretung sowie eine ausreichende Grundfinanzierung durch den Freistaat für seine zukünftigen und dringend benötigten Lehrkräfte.

8. Demokratische Mitbestimmung

Die geplante Selbstorganisation der Hochschulen kann zu einer Machtkonzentration führen, insbesondere dann, wenn auf Vorgaben für fakultäre Vertretungen und andere Gremien explizit verzichtet wird. Dies beinhaltet das Risiko, dass zentrale Struktur- und Personalentscheidungen willkürlich allein durch die Hochschulleitung getroffen werden.

Bestehende Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung und Kontrolle sollen zugunsten der Hochschulleitungen und unter Einbindung externer Fachleute weiter ausgehöhlt werden. Das hohe Gut der akademischen Selbstverwaltung und die Wissenschaftsfreiheit gehen dadurch verloren. Daher halten wir ein gesichertes Mitwirkungsrecht für Studierende, Mitarbeiter*innen und Professor*innen für nötig, insbesondere bei Berufungsverfahren sowie grundlegenden hochschulpolitischen Richtungsentscheidungen.

Die Novellierung des Hochschulgesetzes bietet die Chance, auch in Bayern ein Modell einer zukunftsfähigen verfassten Studierendenschaft an den Hochschulen zu erarbeiten, die es in allen anderen Bundesländern gibt, und so die größte Statusgruppe der Universitäten mehr in die Entscheidungen vor Ort einzubinden. Auch auf Landesebene muss die Partizipation von Studierenden gewährleistet sein.

9. Faire Arbeitsbedingungen

Eine Tätigkeit an der Hochschule darf nicht zu prekären sozialen Situationen sowie einer erschwerten Vereinbarkeit von Beruf und Familie führen. Durch eine mögliche Umwandlung der Hochschule in eine Körperschaft werden Befristungen und untertarifliches Gehalt noch mehr zur Regel. Vor allem für den akademischen Mittelbau drängen wir auf mehr unbefristete Anstellungen.

10. Qualitätssicherung der Hochschullehre

Die Verknüpfung von Forschung und Lehre ist ein Qualitätsmerkmal deutscher Hochschulen. Wir fordern daher, dass die Lehre weiterhin zu den Kernaufgaben aller Professor*innen gehört und in der Regel in Präsenzveranstaltungen stattfindet. Zur Sicherung von Qualität und Vielfalt in der Lehre ist ein Gesamtlehrdeputat ungeeignet, das keine personengebundene Lehrverpflichtung enthält. Die Unterscheidung zwischen Lehr- und Forschungsprofessuren würde zu einer Zwei-Klassen-Professor*innenschaft führen. Etwaige unternehmerische Tätigkeiten von Dozierenden dürfen nicht zu Interessenkonflikten sowie zu einer Qualitätsminderung in der Lehre führen.

Die Freiheit der Hochschulen darf nicht wirtschaftsliberal missverstanden werden! Als christliche Hochschulgemeinden fordern wir für die Hochschulen ein, was auch gesellschaftlich dem guten Leben aller dient: Gemeinwohl, Gerechtigkeit, Partizipation und Nachhaltigkeit.

Quelle: https://www.hochschulgemeinden.bayern/stellungnahme/