Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder,
sehr geehrter Herr Staatsminister Sibler,
sehr geehrter Herr Brannekämper, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft u. Kunst,

im vergangenen Jahr hat die Staatsregierung die Hightech-Agenda vorgestellt und in diesem Jahr noch erweitert. Wir begrüßen diese Agenda sehr. Politisch wird die Hightech-Agenda mit einer Reform des Hochschulgesetzes verknüpft, die im Eckpunktepapier vom 20.10.2020 dargestellt ist. Die tiefgreifende Umgestaltung der bayerischen Hochschulen, wie sie im Eckpunktepapier beschrieben ist, ist ein groß angelegtes Experiment mit ungewissem Ausgang. Die von den Befürwortern mit falschen Hoffnungen weckenden Schlagworten – wie Freiheit oder Entfesselung – behaupteten Verbesserungen sind in keiner Weise belegt. Damit wird das angestrebte Ziel der Ausgestaltung von exzellenten Hochschulen Bayerns leider erschwert. Dabei steht nichts weniger auf dem Spiel als das Herzstück unserer Bildungsgesellschaft und unseres Wohlstands.

Die Agenda beinhaltet große Chancen für den Wissenschaftsstandort Bayern. Uns liegt der Erfolg dieser Agenda sehr am Herzen. Um die Agenda erfolgreich umzusetzen, müssen alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir sind dazu bereit.

Folgende zwölf Punkte sind uns wichtig:

1. Das bayerische Bildungssystem ist sehr erfolgreich. Es bietet vielen Bürgerinnen und Bürgern Möglichkeiten durch Bildung erfolgreich am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Speziell die Hochschulen in den Regionen ermöglichen den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg des Einzelnen und seiner Region sowie der lokalen Wirtschaft. Die dazu notwendige Exzellenz in der Lehre kommt leider im Eckpunktepapier nicht vor. Die Hochschulen haben in den vergangenen Jahren viele Absolventinnen und Absolventen in die Arbeitswelt vermittelt, erfolgreich integriert und so einen erheblichen Beitrag für die Entwicklung der Regionen geleistet. Grundlage dieses Erfolges ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit und Interaktion zwischen Professorinnen und Professoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Studierenden, den Bürgerinnen und Bürgern und den lokalen gesellschaftlichen und sozialen Akteuren sowie der regionalen Wirtschaft.

2. Es ist daher folgerichtig, dass alle Gruppen der Hochschulen in einen Diskussionsprozess zur Reform der Hochschulen eingebunden werden. Bisher waren im Wesentlichen nur die Hochschulleitungen am Prozess der Meinungsbildung beteiligt. Eine Gleichsetzung von Hochschulen mit Hochschulleitungen ist nicht zielführend, weshalb wir in diesem Brief die Sicht der Professorinnen und Professoren der bayerischen Hochschulen für angewandte Wissenschaften aufzeigen wollen.

3. Die interne Organisationsstruktur der Hochschulen lässt das Eckpunktepapier bewusst offen und beschreibt nur die Rollen einer starken Präsidentin oder eines Präsidenten und eines Hochschulrates, der die interne Struktur der Hochschulen bestimmen soll. Dies steht im Widerspruch zu der Aussage des Eckpunktepapiers, dass ein angemessener Einfluss der Trägerinnen und Träger der Wissenschaftsfreiheit gewährleistet werden muss. Die Erarbeitung der internen Organisationsstrukturen darf auf keinen Fall zu einem langjährigen, lähmenden Prozess an jeder Hochschule führen, der vielleicht am Ende auch noch unsere Justiz beschäftigen würde. Darum fordern wir, dass die Trägerinnen und Träger der Wissenschaftsfreiheit tatsächlich die Organisationsform der Hochschulen bestimmen. Im neuen Gesetz müssen Strukturen, Aufgabenzuordnungen und Rechte der Organe der akademischen Selbstverwaltung festgelegt und garantiert werden. Diese sind zudem streng subsidiär zu verfassen, die heute bremsende Doppelbefassung verschiedener Gremien mit ein und demselben Sachverhalt muss abgeschafft werden. Wir Professorinnen und Professoren wollen und müssen nicht weniger, sondern mehr in der akademischen Selbstverwaltung entscheiden.

Die Möglichkeiten zur Mitgestaltung an den Hochschulen sind heute ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Beschneidet das neue Hochschulgesetz diese, wird der Wettbewerb um die besten Köpfe nur schwer zu gewinnen sein. Die stille Übereinkunft „bescheidenere Besoldung im Vergleich zur Wirtschaft“ gegen „große Freiheit bei der beruflichen Gestaltung“ würde aufgekündigt, folgte man dem Eckpunktepapier. Die Besten werden den Schritt aus der Wirtschaft in die Hochschule nicht gehen, wenn diese nach den gleichen Prinzipien wie Unternehmen geführt werden. Insbesondere, wenn die in verschiedenen politischen Papieren zur Schau gestellten Vorstellungen einem rückwärtsgewandten Bild von Führung entspringen.

4. Die Komplexität der Probleme unserer Zeit verlangt eine multiperspektivische Arbeitsweise. In der Wirtschaft trägt man dieser Entwicklung mit der Bildung von funktions- und fachübergreifenden Teams Rechnung. Modern geführte Unternehmen aktivieren die Potentiale ihrer diversen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in dem sie diese durch teamorientierte und agile Führungsmethoden zu Mitgestaltenden machen. Genau diese Strukturen haben die Gruppenhochschulen unseres Landes seit Jahrzehnten und sind damit erfolgreich. Nur mit so motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konnte der enorme Zuwachs an Studierenden, Drittmitteln und Transferleistungen der letzten Jahre überhaupt erbracht werden. Moderne Hochschule und hierarchische Führungsstruktur passen nicht zusammen.

5. Die Hochschulen sollen in eine Freiheit entlassen werden, die aber nur eine Freiheit der Hochschulleitungen ist. Zum Bild der unternehmerisch handelnden und selbstverwalteten Hochschule gehört im Eckpunktepapier die Vorstellung, dass Hochschulen viele Aufgaben vom Ministerium oder anderen Behörden übernehmen sollen. Dies erscheint gerade vor dem Hintergrund, dass erfolgreiche Unternehmen sich heute eher spezialisieren und auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, als rückschrittliches Denkmuster. Verwaltungen sollten grundsätzlich möglichst schlank bleiben.

6. Wenn sich die Regierung auf die Rechtsaufsicht zurückzieht und es den Hochschulräten überlässt, die Hochschulen sogar in Körperschaften umzuwandeln, dann ist die durch die Professorinnen und Professoren garantierte Freiheit von Forschung und Lehre nicht mehr effektiv geschützt. Eine Ordnungsmäßigkeit muss weiterhin gegeben sein.

7. Mit der Umwandlung in Körperschaften würde die Attraktivität einer Anstellung an den Hochschulen leiden, so dass die Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Professorinnen und Professoren in Zukunft eine noch größere Herausforderung darstellen wird. Wir fordern daher, dass die Hochschulen in der jetzigen Rechtsform bestehen bleiben. Etwaige Vorteile, die sich angeblich aus der Umwandlung in Körperschaften ergeben sollen, könnten auch anderweitig z.B. durch die einmalige Aufstockung der Körperschaftshaushalte erreicht werden.

8. Die Lehre als ureigene Aufgabe der Hochschulen darf nicht zum Gegenstand von bilateralen Verhandlungen werden, sonst würde der resultierende Wettbewerb zwangsläufig die Qualität beeinträchtigen. Lehre muss frei sein und dies ist nur unter klaren Rahmenbedingungen möglich. Aus diesem Grunde lehnen wir ein globales Lehrdeputat ab. Wir fordern eindeutige Regelungen für die persönliche Lehrverpflichtung aller Lehrenden.

9. So, wie das Globalbudget im Eckpunktepapier formuliert ist, werden Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen dazu führen, dass dauerhaft Geld in der grundständigen Lehre fehlen wird. Die vorgesehene Gewährträgerhaftung schützte die Hochschulen in letzter Konsequenz nur davor, komplett handlungsunfähig zu werden. Wir begrüßen die Abkehr von den heute sehr kleinteiligen Zweckvorgaben durch Titelgruppen, fordern aber, dass es auch weiterhin eine klare Zuordnung der Mittel zu den Aufgaben der Hochschulen gibt und keine wirtschaftlichen Risiken in die Haushalte der Hochschulen übertragen werden. Für die Verteilung der Mittel innerhalb der Hochschulen fordern wir klare Regeln nach dem Prinzip der Subsidiarität. Das Mitspracherecht bei der Verteilung von Ressourcen innerhalb der Hochschulen muss auf eine breitere Basis gestellt werden, als dies bisher der Fall war.

10. Die primäre Aufgabe der Hochschulen muss die breite akademische Bildung mit regionalem Fokus bleiben. Dazu gehört auch die Ausbildung von mündigen Bürgerinnen und Bürgern unserer demokratischen Gesellschaft. Dies gelingt nur in einem interdisziplinären Umfeld mit einer zukunftsfähigen Wertebildung. Dies schließt alle Formen des sozialen Lebens einschließlich Sport und Musik mit ein.

11. Wir begrüßen ausdrücklich die Stärkung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften im Bereich der Forschung. Wenn es für forschungsstarke Bereiche darüber hinaus die Möglichkeit zur Ausbildung in der dritten Akademischen Stufe gibt, was wir befürworten, dann müssen die dazu notwendigen Ressourcen dauerhaft zusätzlich für diese Bereiche zur Verfügung gestellt werden. Eine Quersubvention muss unterbunden werden. Ein interner Wettbewerb um Ressourcen zwischen den Bereichen Lehre, Forschung und Transfer, wie er sich heute schon abzeichnet, schadet allen Bereichen.

12. Ein weiterer Aspekt, der bislang noch nicht offen diskutiert wurde, gehört unseres Erachtens auch auf die Tagesordnung: Der angedachte Wettbewerb unter den Hochschulen. Es kann nicht sein, dass eine bayerische Hochschule mit staatlich finanzierten Marketingmaßnahmen einer anderen bayerischen Hochschule Studienanfängerinnen und Studienanfänger abwirbt. Es muss klare Regeln für diesen Wettbewerb geben.

Wir wünschen uns einen breiten gesellschaftlichen Dialog über die Zukunft unserer bayerischen Hochschulen und möchten diesen mit unseren 12 Punkten anstoßen. Nur wenn sich ein so erarbeiteter Konsens in einem Gesetz niederschlägt, wird es die notwendige gesellschaftliche Kraft zu einer erfolgreichen Umsetzung entfalten.

Wir wollen an diesem Dialog konstruktiv teilnehmen und sind bereit, die Zukunft der bayerischen Hochschulen tatkräftig mitzugestalten.

Quelle: https://hochschulreform-wir-sind-dabei.de/