Offener Brief der bayerischen Professorinnen und Professoren zur Hochschulreform

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder,
sehr geehrter Herr Staatsminister Sibler,
sehr geehrter Herr Brannekämper, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft u. Kunst,

am 20. Oktober 2020 wurde im bayerischen Kabinett das Eckpunktepapier für die Hochschulreform beschlossen. Bislang waren dazu die Hochschulverbünde in die Diskussionen eingebunden. Mit diesem offenen Brief wendet sich eine breite Gruppe bayerischer Professorinnen und Professoren an Sie. Zum einen wollen wir so die zwingend notwendige Diskussion über eine derart nachhaltige Änderung der bayerischen Hochschulund Universitätslandschaft einfordern, die zur Zeit wegen der COVID-19 Pandemie kaum möglich ist. Zum anderen wollen wir zentrale kritische Punkte im Eckpunktepapier aufzeigen, die eine mögliche Gefährdung der Hochschulen und Universitäten und ihrer gesellschaftlichen Aufgaben implizieren und daher Bestandteil der geforderten Diskussion sein müssen.

Das Gesetz wird die Hochschullandschaft in Bayern, ja in ganz Deutschland, fundamental verändern. Das birgt manche Chance, aber ein solcher Schritt sollte gut überlegt und durchdacht sein – und am Ende von einer breiten Mehrheit der Betroffenen mitgetragen werden. Dazu gehören zwingend Diskussion und Streitgespräch. Bedingt durch die aktuelle COVID-19 Situation ist der notwendige breite gesellschaftliche Diskurs über das Thema im Moment schlechterdings unmöglich. Das Versammlungsrecht und damit auch die erforderliche Selbstverständigung der Studierenden und Lehrenden sind massiv eingeschränkt. Studierende können nicht zusammenkommen, und Professorinnen und Professoren können bestenfalls über Videokonferenzen das Thema behandeln. Es ist nicht nachvollziehbar, warum in diesem Zeitfenster ein Gesetz auf den Weg gebracht werden soll, das für die Wissenschaft und die Hochschulorganisation in Bayern derart grundsätzliche und langfristige Folgen haben wird. Wir halten daher eine schnelle und diskussionslose Umsetzung einer so profunden Änderung der Hochschul- und Universitätslandschaft für äußerst problematisch.

Ganz zentral im Eckpunktepapier steht die unternehmerische Tätigkeit und die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Universitäten. Die Universität soll als ökonomischer Betrieb aufgestellt werden, was durch Begriffe wie „Fundraising“ und „Studiengebühren für Nicht-EU Bürger“ zementiert wird. Es ist nicht abzustreiten, dass unternehmerisch tätige Universitäten in anderen Ländern erfolgreich sein können, aber so gut das System einer privatwirtschaftlichen Universität in ein sozio-ökonomisches System der freien Marktwirtschaft passt, so problematisch verankert es sich im System einer sozialen Marktwirtschaft wie in Deutschland, wo Bildungsgerechtigkeit ein zentrales Anliegen der Gesellschaft ist. Die deutschen Universitäten beziehen ihre Legitimation und auch ihre international anerkannte Leistungsfähigkeit nicht aus ökonomischem Kalkül.

Das Eckpunktepapier spricht zu Beginn vom „Ideal der zweckfreien Erkenntnis“, orientiert sich aber in der Folge fast ausschließlich an dem Gesichtspunkt der Effizienz und Messbarkeit, etwa indem es eine erfolgsorientierte (Teil-)finanzierung zwingend vorgibt. Nach unserer Überzeugung ist eine Quantifizierung von wissenschaftlicher Exzellenz über Indizes nur eingeschränkt möglich, fachgebietsübergreifend kann dies sogar zu absurden Ergebnissen führen. Statt „zweckfreier Erkenntnis“ fordert das Eckpunktepapier, dass an den Universitäten „eine gesteigerte Ergebnisorientierung“ verfolgt werden muss. Zu den Kernaufgaben von Universität in Forschung und Lehre, die nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen, soll nun der Transfer als neues, offenbar gleichwertiges Aufgabengebiet hinzukommen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, zumal die Universitäten schon heute in ganz erheblichem Umfang einen solchen Transfer leisten. Allerdings erfolgt im Eckpunktepapier eine einseitige Akzentverschiebung zu Lasten der bisherigen Aufgaben, wenn der „soziale, technologische, ökonomische, ökologische und kreative Mehrwert für Staat Wirtschaft und Gesellschaft […]“ programmatisch als Aufgabe der Hochschulen verankert wird. Es scheint, die Universität soll damit zum wissenschaftlichen Dienstleister degradiert werden, und es ist schwer vorstellbar, wie Grundlagenforschung mit dieser Zielsetzung vereinbar ist. Theoretische und grundlegende Forschung liefert keinen sofortigen „Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft“, ebenso wenig ist sie unmittelbar „ergebnisorientiert“, führt jedoch immer zu Erkenntnisgewinn und stellt damit einen unschätzbaren Wert dar.

Das Eckpunktepapier lässt die interne Governance der neuen Hochschule explizit offen. Gesetzt ist darin allein eine starke Präsidentin bzw. ein starker Präsident. Seit Jahrhunderten erprobte und bewährte Institutionen wie Fakultäten oder der Senat sollen nicht mehr gesetzlich vorgegeben werden. Die Gefahr eines autoritativen Durchregierens ist damit virulent. Problematisch ist auch, dass die in jeder Hochschule nach Inkrafttreten des Gesetzes zu verabschiedende „Erste Organisationssatzung“ durch den Hochschulrat und nicht durch ein unmittelbar demokratisch legitimiertes Vertretungsorgan beschlossen werden soll. Dabei verlangt das Verfassungsrecht die Mitwirkung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch bei Entscheidungen über die Organisationsstruktur und den Haushalt der jeweiligen Hochschule. Das Bundesverfassungsgericht vertraut klugerweise pluralistisch zusammengesetzten Vertretungsorganen und hält ein autoritatives System dezidiert für wissenschaftsgefährdend. Dies gilt besonders dann, wenn, wie nun im Eckpunktepapier vorgesehen, die Hochschulen größtmögliche Freiheit gegenüber dem Staat genießen sollen. Fakultäten müssen weiterhin unmittelbar im Gesetz verankert und funktionell gestärkt werden. Sie sind die Umschlagplätze zwischen den Studierenden, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, ohne die vieles gar nicht funktionieren würde.

Bemerkenswert ist auch, dass im Eckpunktepapier die universitäre Lehre und die Qualität dieser eine vollständig untergeordnete Rolle spielt. Im gesamten Duktus des Papiers erscheint die Lehre als lästige Pflicht, die von den vermeintlich wichtigeren Aufgaben der Forschung und dem Transfer abhält. Das gipfelt in der Idee des universitären Gesamtlehrdeputats, bei dem klar ist, dass es dazu anhalten soll, kreative Wege und Gründe zu finden, um die Lehrbelastung (sic) zu reduzieren, was letztendlich zu einer wettbewerblichen Verteilung der Lehrleistung führen wird. Des Weiteren stellt das Eckpunktepapier zum Thema Lehre primär 3 die Transferleistung in Form von (vermarktbaren) Weiterbildungsangeboten heraus. Auch wenn es durchaus begrüßenswert ist, dass die akademische Ausbildung nicht mit Bachelor, Master oder Dissertation aufhören soll, so darf das Heranführen der jungen Generation an Wissenschaft und Forschung keinesfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die Ausbildung von Studierenden und eine hohe Qualität der damit verbundenen Lehre muss als Ziel einer modernen Universität eindeutig im Vordergrund stehen.

Die aufgezeigten Punkte spiegeln exemplarisch wider, dass das Eckpunktepapier zahlreiche folgenschwere Änderungen bei den Universitäten in Bayern vorsieht. Wir würden es deshalb sehr begrüßen, wenn durch gezielte, überlegte und abgestimmte Reformschritte der institutionelle Rahmen, in dem sich die bayerischen Universitäten und Hochschulen bewegen, so angepasst werden würde, dass wir noch erfolgreicher forschen, noch besser lehren und noch nachhaltiger zum informierten öffentlichen Entscheidungsfindungsprozess beitragen können. Ein in Eile verabschiedetes Gesetz aber kann nachhaltigen Schaden an den bayerischen Hochschulen und Universitäten und an einzelnen Fächergruppen anrichten. Abschließend wollen wir herausstellen, dass es fatal wäre, wenn durch eine überstürzte und nicht nachhaltig aufgestellte Reform die bayerischen Universitäten auf absehbare Zeit ausschließlich mit sich selbst beschäftigt wären. Dies würde verhindern, dass wir die Chancen, die sich durch die HighTech Agenda auftun, effektiv nutzen können. Außerdem würden wir uns in der Vorbereitung des nächsten Exzellenzprozesses selbst im Weg stehen und den Erfolg dort leichtfertig aufs Spiel setzen. Als Professorinnen und Professoren wollen wir mit diesem Brief deutlich vor diesen Gefahren warnen und fordern daher einen ausgewogenen, breit angelegten und ergebnisoffenen Diskussionsprozess, zu dem wir unsererseits sehr gerne konstruktiv beitragen.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Göran Kauermann, Cervantesstrasse 9, 81241 München,
Dienstanschrift: Ludwig-Maximilians-Universität München, Ludwigstr 33, 80539 München
Email: goeran.kauermann@lmu.de

Quelle: https://www.offener-brief-hochschulreform.de